Alien-Hand-Syndrom

Medizinische Expertise: Dr. med. Nonnenmacher
Qualitätssicherung: Dipl.-Biol. Elke Löbel, Dr. rer nat. Frank Meyer
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021
Dieser Artikel wurde unter Maßgabe medizinischer Fachliteratur und wissenschaftlicher Quellen geprüft.

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Beim Alien-Hand-Syndrom verliert der oder die Erkrankte die Kontrolle über eine der eigenen Hände. Diese entzieht sich der willentlichen Steuerung und führt auch selbstständig Handlungen aus, wie vom Patienten nicht beeinflussbar sind und von diesem oft auch nicht bemerkt werden. Die Krankheit zählt zu den seltenen neurologischen Erkrankungen.

Inhaltsverzeichnis

Alien-Hand-Syndrom: Beschreibung

Betroffene des Alien-Hand-Syndroms klagen darüber, dass sie ihre Hand nicht mehr kontrollieren können. Sie wird sogar oft als nicht zum Körper gehörig empfunden.

Erste medizinische Aufzeichnungen beschreiben einen ungehemmten Greifreflex etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die eigentliche Form des Alien-Hand-Syndroms, wie sie heute verstanden wird, wurde 1908 zunächst von dem Psychiater Kurt Goldstein beschrieben. Er berichtete von einer Patientin, die ihre rechte Hand nicht mehr willentlich steuern konnte. Diese fuhr dieser Patientin im Krankheitsverlauf sogar an die Gurgel, was zu einer lebensbedrohlichen Situation führte.

Gerade Anfang des 20. Jahrhunderts war die Ursache für dieses Krankheitsbild dabei natürlich alles andere als offensichtlich. Aber im Laufe der Zeit schritten medizinisches Wissen und Diagnosemöglichkeiten immer weiter voran. Heutzutage wird mit dem Begriff meist ein Verlust der Kontrolle über die eigene Hand bezeichnet, bei dem diese aber immer nichtsdestotrotz noch zielgerichtete Handlungen ausführt. Diese sind dabei aber vom Patienten nicht willentlich initiiert worden. Eine völlig eindeutige Definition der Krankheit wurde jedoch bislang nicht vorgenommen.

Ursachen

Das Alien-Hand-Syndrom kann meist mit einem neurologischen Trauma oder einer anderen neurologischen Verletzung oder Erkrankung in Verbindung gebracht werden. Dabei ist eine heutzutage geläufige Theorie, dass die Krankheit ein Resultat der durch die Verletzung verloren gegangenen gegenseitigen Einflussnahme verschiedener Hirnregionen ist.

Insbesondere können Verletzungen des Corpus Callosum, welcher die beiden Gehirnhälften miteinander verbindet, aber auch des Frontallappens oder anderer Hirnregionen ursächlich für das Auftreten der Krankheit sein. Je nach verletzter Hirnregion können die Symptome dabei verschieden sein, allerdings haben alle auftretenden Krankheitsbilden einen Verlust der willentlichen Kontrolle über die eigenen Handbewegungen gemeinsam.

Eine mögliche Erklärung wird darin gesehen, dass aufgrund der erlittenen Verletzungen die Hirnareale, die die eigentlichen Bewegungen der Hand ausführen, von denen, die diese Bewegungen willentlich planen und steuern, abgetrennt werden. Auf diese Weise werden dann laut dieser Theorie Bewegungen der Hand weitgehend selbstständig von einer relativ kleinen Hirnregion ausgeführt, die sonst einer weitergehenden Kontrolle unterworfen ist.

Symptome und Verlauf

Patienten berichten, dass sie die betroffene Hand nicht mehr kontrollieren können und diese als fremd und nicht zum eigenen Körper gehörig empfinden. Die betroffene Hand entwickelt zum Teil sogar eine Art eigene Persönlichkeit, woher auch die frühere Vorstellung rührt, die Hand wäre von einem bösen Geist oder Dämon besessen. Der Patient ist zu Beginn der Krankheit von dieser geisterhaften Tätigkeit seiner Hand meist sehr aufgebracht.

Typisch ist, dass er versucht, die Hand vom unerwollten Eingreifen in seine Handlungen z.B. durch Festhalten mit der anderen Hand abzuhalten. Im Krankheitsverlauf erfolgt eine Linderung der Symptome meist recht schnell. Obwohl das Alien Hand Syndrom nicht heilbar ist, tritt üblicherweise nach einer gewissen Zeit von selbst eine Besserung des Leidens ein.

Diagnose

Bei der Diagnose des AHS spielt insbesondere die eigenmächtige, zielgerichtete Handlung der betroffenen Hand und die vom Patienten berichtete Unmöglichkeit, diese Bewegungen zu kontrollieren, eine Rolle. Ein weiterer Hinweis können hier Handlungen der Hand sein, die deutlich dem sonstigen Willen und Wollen des Patienten zu widersprechen scheinen.

Da das Alien Hand Syndrom sehr häufig in Verbindung mit Gehirnverletzungen auftritt, kann hier das parallele Vorliegen eines für das AHS relevanten solchen Krankheitsbildes den Diagnoseverdacht meist schnell erhärten. Dabei sind die zur Diagnose tiefliegender Verletzungen im Kopfbereich üblichen bildgebenden Verfahren meist eine große Hilfe. Besonders Verletzungen an Corpus Callosum oder der anderen bisher mit dem Krankheitsbild in Verbindung gebrachten Hirnregionen spielen hierbei häufig ein große Rolle.

Komplikationen

Das Alien-Hand-Syndrom kann selbst als Komplikation schwerer Erkrankungen im Bereich des Gehirns auftreten. Zugleich kann das seltene Syndrom, bei dem eine Hand nicht mehr der willentlichen Kontrolle ihres Besitzers unterliegt, weitere Komplikationen nach sich ziehen. Die vom Besitzer willentlich nicht mehr kontrollierbare Hand kann durch willkürliche Bewegungen leichte oder schwere Verletzungen erleiden. Da die betroffene Hand als störender Fremdkörper wahrgenommen wird, kann es zu einer mangelnden oder unterlassenen Hilfeleistung und Wundversorgung kommen. Unbewusst tut der Betroffene möglicherweise alles, um das Problem durch solche Handlungsweisen loszuwerden. Er missachtet seinen funktionsuntüchtigen Arm.

Außerdem können als Komplikation eines Alien-Hand-Syndroms psychische Probleme wie Depressionen oder Suizidgedanken auftreten. Es handelt sich um ein stark belastendes Phänomen. Diesem ist nicht jeder Betroffene seelisch gewachsen. Der wahrscheinliche Verlust des Berufes, der uneingeschränkten Handlungsfähigkeit und des Selbstwertgefühls kann über längere Zeit an dem Betroffenen nagen. Dazu addiert sich die Unsicherheit, ob das Alien-Hand-Syndrom mangels zur Verfügung stehender Therapien jemals wieder verschwindet. Das belastet. Der Wunsch nach einer Amputation des störenden Armes ist eher selten zu finden, kommt aber in Einzelfällen vor. Stattdessen wird der Arm von den Betroffenen oft ruhiggestellt. Je nach dem, wie das geschieht, kann es als mögliche Komplikation eines Alien-Hand-Syndroms zu Thrombosen oder Abschnürungen kommen.

Behandlung und Therapie

Das Alien-Hand-Syndrom ist momentan nicht heilbar. Allerdings können die auftretenden Symptome durch eine ganze Reihe von Techniken abgemildert werden. Ein häufig angewendetes Prinzip besteht dabei darin, die Hand möglichst nicht zur Ruhe kommen zu lassen und "sinnvoll" zu beschäftigen. Auf diese Weise soll vermieden werden, dass die Hand ungewollte oder sogar gefährliche selbstständige Aktionen ausführt, da diese meist dann beobachtet werden, wenn die Hand vom Patienten nicht benutzt wird.

Zum Teil kann auch ein "Erziehen" der Hand positive Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf zeigen, bei dem sie für bestimmte eigenmächtig durchgeführte Handlungen "bestraft" wird. Ebenfalls kann das Training einfacher Bewegungsabläufe durch den Patienten dazu führen, dass die Besserung rascher eintritt. Das Ziel ist dabei bei vielen dieser Techniken, die beschädigten Gehirnregionen durch eine Stimulation zur Regeneration anzuregen bzw. verloren gegangene motorische oder sensorische Fähigkeiten wieder neu zu erlernen.

Im Laufe der Zeit wurden dabei mehrere verschiedene Verfahren entwickelt, von denen viele auf die vollständige oder teilweise Wiedererlangung der Kontrolle über die betroffene Hand abzielen. All diesen Verfahren ist dabei gemein, dass die unwillentlich ausgeführten Aktionen der Hand auf die eine oder andere Weise verhindert werden. Dies kann sogar soweit gehen, dass die Hand fast vollständig fixiert und somit von ihren eigenmächtigen Handlungen abgehalten wird. Es herrscht momentan noch kein eindeutiger Konsens darüber, welches Therapieverfahren beim AHS zu bevorzugen ist, was sicher auch mit dem vergleichsweise geringen Auftreten dieses Krankheitsbilds in Verbindung steht.


Vorbeugung

Das das Alien-Hand-Syndrom häufig nach ernsten Gehirnverletzungen auftritt, ist die beste Vorsorge, es nicht zu solchen Gehirnverletzungen kommen zu lassen. Gerade bei sportlichen Aktivitäten, im Straßenverkehr oder bei der Arbeit sollte man deshalb stets darauf achten, sich nicht unnötig in entsprechende Gefahren zu begeben und die eventuell zur Verfügung stehende entsprechende Schutzkleidung anzulegen. Denn schließlich kann eine solche Kopfverletzung auch noch weit schwerere Konsequenzen nach sich ziehen.

Quellen

  • Herold, G.: Innere Medizin. Selbstverlag, Köln 2016
  • Masuhr K., Masuhr, F., Neumann, M.: Duale Reihe Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Mattle, H., Mumenthaler, M.: Neurologie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Siegenthaler, W. (Hrsg.): Siegenthalers Differenzialdiagnose Innere Krankheiten – vom Symptom zur Diagnose. Thieme, Stuttgart 2005
  • Payk, T., Brüne, M.: Checkliste Psychiatrie und Psychotherapie. Thieme, Stuttgart 2013
  • Bewermeyer, H.: Neurologische Differenzialdiagnostik, Schattauer Verlag, 2011

Dieser Artikel wurde unter Maßgabe der aktuellen medizinischen Fachliteratur und fundierter wissenschaftlicher Quellen verfasst.
Qualitätssicherung durch: Dr. med. Nonnenmacher
Letzte Aktualisierung am: 15. November 2021

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